IMFS Policy Lecture mit Prof. Veronika Grimm (SVR)
Die Lage der deutschen Wirtschaft stimmt nicht hoffnungsfroh. „Es ist davon auszugehen, dass wir in diesem Jahr eine Stagnation erleben“, sagte Prof. Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaften Entwicklung, bei der IMFS Policy Lecture am 20. Februar. Doch auch längerfristig drohe Deutschland eine Wachstumsschwäche. Wie sich diese überwinden lässt und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen, erläuterte Grimm in ihrem Vortrag.
Das Potenzialwachstum befindet sich auf historischem Tiefstand, wie die Ökonomin ausführte. Notwendig sei daher eine Steigerung der Arbeitsproduktivität. „Durch die demographische Entwicklung, nämlich den Renteneintritt der Babyboomer-Generationen, sinkt das Arbeitsvolumen deutlich, und das trägt negativ zur Entwicklung des Produktionspotenzials bei.“ Anzusetzen sei bei Investitionen und Innovationen. „Wenn die Investitionen auf dem gleichen Niveau bleiben, würden wir etwa 0,4 Prozent pro Jahr wachsen. Das ist natürlich wenig im Vergleich zu ungefähr dem dreifachen Wachstum, das wir in den 2010er-Jahren realisiert haben.“
Auch Migration könnte das Arbeitsvolumen stützen. Doch es sei unrealistisch, so stark auf Migration zu setzen, dass dies allein den Rückgang auffangen könnte. „Bei der Integration in den Arbeitsmarkt müssen wir besser werden“. Im Gutachten verweisen die Mitglieder des Sachverständigenrats auch darauf, die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu steigern. Denn Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit – egal, ob sie Kinder hätten oder nicht, so Grimm. Bessere Kinderbetreuung, eine Anpassung des Ehegattensplittings und größere Wertschätzung von in Vollzeit arbeitenden Müttern sind Grimm zufolge entscheidende Faktoren, um eine höhere Zahl von Arbeitsstunden für Frauen attraktiver zu machen.
Darüber hinaus befürwortet der Sachverständigenrat eine Grundsicherungsreform, die höhere Arbeitsanreize schafft und Transferentzugsraten verringert „Das System ist sehr schwer zu durchblicken“. Notwendig ist eine Reform auch bei der Alterssicherung. Aus Sicht des Sachverständigenrats wäre hier eine Anpassung des Renteneintrittsalters an die fernere Lebenserwartung angebracht, kombiniert mit der Anpassung des Nachhaltigkeitsfaktors und der Anpassung von Bestandsrenten an das Inflationsniveau statt an das Lohnniveau. Die Bestandsrenten steigen dann in normalen Zeiten nicht so stark wie die Löhne.
Dabei wendete sich Grimm gegen den Vorschlag des Sachverständigenrats, innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung umzuverteilen. Denn in der gesetzlichen Rentenversicherung seien längst nicht alle leistungsfähigen Personengruppen wie etwa Selbständige und Beamte integriert, gab Grimm zu bedenken.
Die stärkere Einbeziehung von Frauen sowie Zuwanderung reichen jedoch nicht aus, um Wachstumshemmnisse zu beseitigen. Investitionen sollten den Strukturwandel unterstützen. Dabei geschehe einiges von selbst. „Es werden immer mehr Unternehmen Arbeit durch Kapitalgüter ersetzen.“ Mikrodaten zeigen, dass Automatisierung besonders gut in der Automobilbranche, in der chemischen oder pharmazeutischen Industrie möglich sei. So würden Arbeitskräfte frei, um in anderen Branchen tätig zu sein. Hier sieht Grimm die Politik gefragt, um über entsprechende Weiterbildungen und Umschulungen neue Chancen für Arbeitnehmer zu schaffen. „Bisher gab es Weiterbildung eher innerhalb von Unternehmen.“
Hinsichtlich des technischen Fortschritts, der mit Investitionen einhergeht, sei es zudem wichtig, sich auf Bereiche zu konzentrieren, wo der Produktivitätsfortschritt höher sei, wenn investiert werde. Andererseits seien Wachstumspotenziale durch Phänomene wie Künstliche Intelligenz nur sehr schwer zu prognostizieren. Ein Blick zurück zeige, „dass die Digitalisierung gar nicht so viel Wachstum gebracht hat.“
Bei der grünen Transformation appellierte Grimm, globaler zu denken. Innerhalb der EU könne die zusätzliche Erzeugung von Wasserstoff den Strompreis sonst in die Höhe treiben. „Es gibt weltweit viel mehr Staaten, die zu günstigen Konditionen Wasserstoff produzieren und uns dann Derivate verkaufen können, als Staaten, die fossile Energieträger verkaufen.“ Diesen Wettbewerb sollte sich die deutsche Wirtschaft gemeinsam mit den europäischen Partnern zunutze machen, wenn es darum geht, energieintensive Vorprodukte zu ersetzen.