Nachhaltige Berichterstattung in Theorie und Praxis
Um die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu gestalten und den Informationsbedürfnissen von Investorinnen und Investoren gerecht zu werden, bedarf es einheitlicher Standards in der Berichterstattung von Unternehmen. Auf der Sustainability Standards Conference des Leibniz-Instituts SAFE diskutierten am 10. Juni 2024 Expertinnen und Experten aus verschiedenen Branchen und Disziplinen über die Einführung und die aktuellen Herausforderungen weltweit einheitlicher Berichtsstandards im Bereich Nachhaltigkeit. ISSB-Präsident Emmanuel Faber und Keynote-Speaker Axel Weber, Vorsitzender des Kuratoriums des House of Finance, betonten, dass die Offenlegung von Nachhaltigkeitsdaten kein „wünschenswerter Zusatz” ist, sondern für Unternehmen und Investoren in Zukunft unerlässlich sein wird, um Risiken zu mindern und fundierte zukunftsorientierte Entscheidungen zu treffen.
Organisiert wurde die Veranstaltung von der International Financial Reporting Standards Foundation (IFRS Foundation), dem International Sustainability Standards Board (ISSB), dem Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC), der Goethe-Universität Frankfurt und dem Leibniz-Institut SAFE mit Unterstützung des House of Finance und der Deutsche Börse Group.
Das auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP26) im November 2021 ins Leben gerufene ISSB soll eine globale Grundlage für die Berichterstattung über Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien schaffen. Informationen über Nachhaltigkeitsaktivitäten sind zu einem wichtigen Faktor bei Investitionsentscheidungen geworden.
Deutlich wurde auch, dass sich Unternehmen in vielerlei Hinsicht in Transformationsprozessen befinden und die Standards den unterschiedlichen Bedürfnissen und Ausgangslagen derzeit nicht gerecht werden. So betonte Sue Lloyd, Vizepräsidentin des ISSB: „Wenn die Menschen befürchten, dass sie nur für schlechte Arbeit getadelt werden, wird es sehr schwierig sein, eine neue Welle der Berichterstattung in Gang zu setzen. Wir müssen ein Umfeld schaffen, in dem Unternehmen ermutigt werden, sich im Laufe der Zeit zu verbessern.“ Unternehmen sollten Transparenz zeigen und mit der Berichterstattung beginnen. Sie müssten nicht von Anfang an perfekt sein.
Perspektiven der Aufsicht und der Industrie
Lloyd diskutierte gemeinsam mit Gülşah Günay von der türkischen Public Oversight Authority, SAFE-Professorin Loriana Pelizzon, Nadja Picard von der Unternehmensberatung PwC und Adam Pradela von der DHL Group über die frühe Einführung und die praktischen Erfahrungen mit den ISSB-Standards aus unterschiedlichen Perspektiven. Lloyd betonte die Wichtigkeit, Nachhaltigkeitsberichterstattung als strategische Initiative zu betrachten, die für den langfristigen Unternehmenswert entscheidend ist. Günay hob die proaktive Haltung der Türkei bei der Übernahme der ISSB-Standards und die Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen der EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung und die Erhebung von Scope-3-Emissionsdaten hervor. Die Türkei habe ein umfassendes Programm zum Aufbau von Kapazitäten durchgeführt, um eine effektive Berichterstattung und Überwachung zu gewährleisten.
Aus Unternehmenssicht erläuterte Adam Pradela den Weg DHLs von der freiwilligen zur verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichterstattung. Einheitliche Berichtsstandards seien notwendig, um international vergleichbar zu sein. Für Unternehmen bedeute die Sicherstellung der Datenqualität einen erheblichen Aufwand, der aber strategische Vorteile für unternehmerische Entscheidungen bringe.
Nadja Picard, Global Reporting Leader bei PwC, ging auf die Rolle der Wirtschaftsprüfung in der Nachhaltigkeitsberichterstattung und die Bedeutung der Integration von finanziellen und nicht-finanziellen Daten ein. Sie wies auch darauf hin, innerhalb der Unternehmen zusammenzuarbeiten, um den neuen Anforderungen an die Berichterstattung gerecht zu werden.
Auch Loriana Pelizzon betonte die Bedeutung von Daten: „Wir brauchen Daten, die vergleichbar sind. Wenn wir Analysen auf Makroebene durchführen wollen, müssen wir in der Lage sein, die Daten zusammenzuführen.“ Sie ging auf die Herausforderungen ein, vor denen die Regulierungsbehörden stehen, um die Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit von Nachhaltigkeitsdaten in Europa zu gewährleisten und plädierte für eine einheitliche Umsetzung der Vorschriften, um makroökonomische Analysen zu erleichtern.
Spielt Biodiversität eine Rolle bei Investitionsentscheidungen?
Auf der Konferenz brachten auch Forschende der Finanzwissenschaft und der Naturwissenschaften ihre Perspektive ein und kamen mit Unternehmen, Investoren und ISSB-Standardsetzern in den Dialog. Insbesondere die Bedeutung der Biodiversität wird in den Standards noch nicht ausreichend berücksichtigt.
Alexander Wagner, Professor of Finance an der Universität Zürich, zeigte erste empirische Belege für das Interesse von Investoren und Investorinnen an den Risiken, denen Unternehmen aufgrund Biodiversitätsverluste ausgesetzt sind. Unternehmen mit einem hohen Biodiversitätsfußabdruck haben nach der Unterzeichnung der Kunming-Erklärung im Oktober 2021, die einen Meilenstein für die globale Zusammenarbeit gegen den Verlust der biologischen Vielfalt darstellt, an Wert verloren. Zudem wurde damit begonnen, eine Biodiversitätsrisikoprämie von Unternehmen zu verlangen, die von zukünftigen Regulierungen zum Erhalt der Biodiversität betroffen sein könnten.
Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums, und Michael Schmidt, Senior Advisor to the Board der LAIQON AG, diskutierten die Herausforderungen bei der Messung von Biodiversitätseffekten. Böning-Gaese betonte, dass der Biodiversitätsfußabdruck von Unternehmen auf Durchschnittswerten basiere und die große Bedeutung einzelner Arten und die negativen Auswirkungen ihres Aussterbens nicht erfassen könne. Aus Investorensicht betonte Schmidt, dass jede quantitative Messung, so fehlerhaft sie auch sein mag, besser sei als gar keine.