02.07.24 | House of Finance: Aktuelles

Wie das Gewohnheitsrecht der LSE ein Instrument zum Umgang mit drohender Zahlungsunfähigkeit an die Hand gab

Public Lecture von Marc Flandreau „The Law and Economics of Governed Platforms: Lessons from the Origins of the London Stock Exchange“.

Wirtschaftlich erfolgreiche Netzwerke und Assoziationen, wie sie für die Frühzeit des Kapitalismus typisch waren, zeichneten sich häufig durch erfolgreiche Selbstregulierung aus, über die sie ihre Funktionsfähigkeit absicherten bzw. weiterentwickelten. Indem es ihnen gelang, diese Regeln dann auch in einen formalisierten Rechtsrahmen zu transferieren, prägten sie die Rechtsentwicklung moderner Gesellschaften der Common Law Tradition entscheidend mit. Marc Flandreau, Howard S. Marks Professor for Economic History an der University of Pennsylvania und diesjähriger Inhaber der Stiftungsgastprofessur „Financial History“ an der Goethe-Universität Frankfurt, ging der rechtsbildenden Rolle der wirtschaftlichen Netzwerke und Vereinigungen am Beispiel der London Stock Exchange im Rahmen seiner Public Lecture am 13. Juni 2024 nach, zu der das House of Finance, das Leibniz-Institute für Finanzmarktforschung SAFE, das Center for Financial Studies sowie das Institut für Bank- und Finanzgeschichte eingeladen hatten. Die Vortragsveranstaltung ist jährlich eines der Highlights der durch die Förderung des Bankhauses Metzler sowie der Friedrich Flick Förderungsstiftung ermöglichten Stiftungsgastprofessur „Financial History“. 

Flandreau zeigte, dass das Bemühen der Händler der London Stock Exchange, ein Verfahren zur Sanktionierung von missbräuchlichen Handelspraktiken bzw. von Betrug und zum Umgang mit Zahlungsausfällen im Kreis der Jobber zu entwickeln, zunehmend die Strukturen der Marktplattform prägte, die schließlich eine dem Verein vergleichbare Governance besaß. Wie mit den „Lame Ducks“, also Händlern, die ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkamen, umzugehen sei, und wie man darauf gegründete Zusammenbrüche der Börse verhinderte, regelten im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, so Flandreau, eine Reihe von Verfahrensschritten, um die Schuldigen zweifelsfrei zu identifizieren, an den Pranger zu stellen und zu bestrafen, und um die Funktionsfähigkeit des Marktes bei einem Zahlungsausfall abzusichern. Sie sahen auch Möglichkeiten der Rehabilitierung für die zu Unrecht Verdächtigten vor. Als man um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert eine eigenständige Konkursgesetzgebung erließ und eine Gerichtsbarkeit ins Leben rief, knüpfte diese an die bisherigen Selbstregulierungsmaßnahmen an. Das bekräftigte, so Flandreau, die Einordnung der London Stock Exchange als eines auf Freiwilligkeit gegründeten Vereins, einer „Voluntary Association“, wie denn auch das Gericht den Charakter eines für die Governance des Vereins typischen „Komitees“ besaß.